Gastbeitrag

Die unsichtbare Bank: Falle oder Chance?

Oliver Bohl Birgit Spors

ndgit Serie: Experten sprechen über Banking Disruption

Von Dr. Oliver Bohl, Direktor Digitale Kanäle, und Birgit Spors, Head of Marketing/ Digital Channels Germany, KfW Bankengruppe

Unsichtbar sein – wer hat als Kind nicht davon geträumt? Und wer hat sich nicht auch im Erwachsenenalter schon einmal unsichtbare Helfer gewünscht, die kleine Dinge außerhalb unserer Wahrnehmung für uns erledigen? Auch im Alltag wissen wir unsichtbare Helfer zu schätzen – sei es beim bequemen Einloggen mittels großer Identitätsdienste, bei einfachen Checkout-Prozessen durch Buy-Buttons, bei der Nutzung von kleinen oder größeren Assistenten im Auto oder im smarter werdenden Zuhause. Es scheint, diese unsichtbaren Helfer machen sich durch ihre hohe Convenience immer unabkömmlicher.

Unsichtbar sein – einige von uns mögen dies aber auch schon als Bedrohung empfunden haben, oder? Wenn Mitbewerber eine höhere Präsenz bei Kunden, Geschäftspartnern oder Vorgesetzten genießen, gleicht Unsichtbarkeit Nicht-Wirkung oder Nicht-Wahrnehmung durch das Gegenüber. Gleiches gilt, wenn unsichtbare Prozesse zu Problemen führen oder scheinbar unsichtbare Regelungen unser Vertrauen überstrapazieren. Dann leidet unsere Akzeptanz für die unsichtbaren Helfer. In beiden Fällen führt Unsichtbarkeit schnell zu einer Bürde für den Unsichtbaren.

Doch welche Rolle spielt Unsichtbarkeit für (Förder-)Banken – besonders im Spannungsfeld der Plattformökonomie? Heute dominieren etablierte Portale zunehmend die Kundenwahrnehmung. Vermittelte oder integrierte Leistungen Dritter verlieren den Ankerpunkt im Bewusstsein der Kunden. Sind diese Entwicklungen eine Falle für Banken oder doch eher eine Chance?

Das besagte Spannungsfeld ergibt sich zunächst dadurch, dass die Kundenrealität heute vom Komfort großer Plattformen wie Amazon, Google oder Facebook geprägt ist. Als Koordinatoren großer Marktplätze präsentieren sie Nutzern alle Informationen und Leistungen an einem Ort. Portale, Plattformen und Ökosysteme sind also Mittler, welche durch die Marktmechanismen der Plattformökonomie Kundenrelevanz gewinnen – und zwar vornehmlich für sich selbst, nicht für die vermittelten Leistungen der integrierten Marken.

Damit gewinnen Plattformen auch für Banken an Bedeutung. Denn Bankingprozesse  und Bankprodukte sind  grundsätzlich prädestiniert dafür, in umfassendere Prozesse und Leistungsbündel integriert zu werden. Denn sie sind ja in der Regel nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck. Um integraler Bestandteil von Plattformen sein zu können, müssen Bankprodukte und ihre Abwicklungsprozesse automatisiert und digitalisiert – reibungslos  und damit defacto unsichtbar – gestaltet werden.

Doch Unsichtbarkeit erhöht die Distanz zum Kunden, denn Bankleistungen sind in der Regel kein alleinstehender Bedarf. Sie sind Enabler – für Payment, aber auch für Finanzierungen, Anlagen und Investments. Damit sind diese Leistungen allzu häufig nur der bittere Beigeschmack im Bedarfskontext. Sie sind komplex, beratungsintensiv und oft auch nicht friktionslos und anschlussfähig gestaltet.

Um diesen Beigeschmack zu minimieren, bieten Plattformen den Kunden Bankleistungen bedarfsgerecht an – oft sogar aggregiert von verschiedenen Anbietern. So entstehen weitere Mittler, die den Vergleich und die Aussteuerung der Services im Auftrag der Plattformen übernehmen. Die Kunden entfernen sich also ein weiteres Stück von den Banken.

Das bedeutet konkret: Es ist eine zentrale Challenge für Banken, den Kundenkontakt zu erhalten und Lösungen zum „unsichtbaren“ Wirken auf Plattformen zu entwickeln. Zwar wird man dafür oft mit Plattformen (zahlungspflichtig) kooperieren müssen – es gilt jedoch auch hier Erfahrungen und Daten zu sammeln, um die Kunden besser zu verstehen. Dies darf nicht im Silo geschehen, denn die eigenen Leistungen sind zu austauschbar. Sie werden durch Technologie zur Commodity – und der Kunde bastelt sich Gesamtlösungen zusammen – willig präsentiert auf großen Plattformen.

Die Antwort sind größere, branchenübergreifende Kooperationsansätze, aber auch solche mit den eigenen Wettbewerbern. Hierzu bedarf es ein Umdenken: Das eigene Ego zurücknehmen, kooperieren und die Unsichtbarkeit als Chance begreifen. Sich dabei auf die eigenen Stärken konzentrieren und an anderen Stellen auf Know-how und Effizienz Dritter bauen. Größe gewinnt man heute eben nicht mehr (nur) in der Breite, sondern auch durch Exzellenz in der Tiefe. Es gilt also zu kooperieren – mit denen an der Kundenschnittstelle, mit begleitenden Services und Playern aus verschiedensten Branchen (von Automotive bis Unterhaltungsindustrie) – mit FinTechs und untereinander.

Die Realisierung dieser Kooperationsansätze hat auch Auswirkungen auf die Aufbauorganisation und ihre Prozesse. Der „klassische“ Banker rückt durch die Commoditisierung der Bankleistungen eher in den Hintergrund.  Das Verstehen von Kunden gewinnt an Bedeutung. Programmierer, Datenanalysten, Marketers gewinnen an Bedeutung. Es braucht neue IT-Systeme, Organisationsstrukturen und Skills. Und fast noch wichtiger: Zum Verstehen der Beyond Banking Ansätze bedarf es mehr als reines Interesse. Es bedarf der Integration von Talenten, die von außerhalb der Bankbranche stammen. Alles andere erscheint arg anmaßend.

Was bedeutet dies in Bezug auf Unsichtbarkeit? Nun: Sie kann eine Option sein. Wenn man sich als starker, hoch fokussierter Dienstleister auf bedarfsorientierten Plattformen versteht. Sie muss aber auch greifen, wenn man sich für den Weg des sichtbaren, eher universell aufgestellten Kundenverstehers entscheidet. Hier laufen die Prozesse unsichtbar im Hintergrund. Der Kunde wird besser qualifiziert und sein Dialog mit dem Berater erfolgt wieder auf Augenhöhe.

Damit die Unsichtbarkeit nicht zur Falle wird, müssen Organisationen ihr eigenes Unsichtbarkeitslevel definieren und die Vor- und Nachteile der strategischen Grundentscheidung sauber nachvollziehbar – und eben nicht unsichtbar – abwägen. Diese müssen dann auch konsequent, eben nicht unsichtbar für Talente in und außerhalb der Organisation, gelebt werden. Dann kann die Unsichtbarkeit eine zweite Chance sein – wenn man sie denn ergreift.

Blogger Shortbio

Oliver ist bei der KfW als Abteilungsleiter für digitale Kanäle tätig. Er verantwortet die Teams und Aktivitäten rund um das Digital Business Development, die Customer Insights sowie die Digital Channels & User Experience. Oliver fördert die Digitalisierung der KfW und ist für den Aufbau innovativer Kooperationen verantwortlich. Darüber hinaus ist er Keynote-Speaker und Autor zu verschiedenen Themen des Digital Business & Digital Leadership sowie wissenschaftlicher Dozent für digitales Marketing und Wirtschaftsinformatik.

Birgit verantwortet als Bereichsleiterin das Inlandsmarketing und die Digitalen Kanäle der KfW. Customer Insights, Customer Experience und Customer Centricity sind Themen, die Birgit bereits seit langem lebt und vorlebt, auch beeinflusst durch ihre Erfahrungen als Leiterin Werbung und Kommunikation bei der ING und durch ihr Agenturerfahrung bei Wunderman. In der KfW steht sie für die digitale Ausrichtung des Inlandsgeschäfts, insbesondere die digitale Weiterentwicklung von Marketing und Vertrieb.


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